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Symposium: Materielle Bedingungen affektiver Medien

September 26, 2019, 10.00 am – 12.00 am

Event — Bericht zum Symposium der GfM Jahrestagung 2019 in Köln

Die gegenwärtige Konjunktur des Neuen Materialismus ist eng mit den geistes- und kulturwissenschaftlichen Diskursen um Affektivität verschränkt. Das Panel »Materielle Bedingungen affektiver Medien« der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM) 2019, die vom 25.09.–28.09. in Köln stattfand, ging dieser sowohl theoretischen als auch praktischen Verfangung von Affekt und Materialität anhand unterschiedlicher Fallbeispiele nach.

Affektive Medien adressieren primär zumeist bestimmte Sinnesmodalitäten, um von dort aus Wirkungen auf die gesamte Physis der Adressat*innen auszuüben. Anhand von nahsinnlichen (spüren, schmecken, riechen) wie von fernsinnlichen (hören, sehen) Praxeologien sollte befragt werden, wie dabei jeweils materielle Grundlagen und ihre eigentümlichen Agenzien berücksichtigt werden müssen und inwieweit Materialität die prozessuale Entfaltung der Affektivität mitbestimmt. Mit den jeweiligen Schwerpunkten der Beiträge des Panels – dem Ausstellen, dem Stimmen (tuning) sowie dem (maschinengestützte) Berühren – sollten Modi affektiver Eingriffe und Hervorbringungen beschreibbar werden.

Beiträge des Symposiums
Chair: Serjoscha Wiemer (Universität Paderborn)

»Berühren und Rühren. Temple Grandins »Squeeze Machine« und Amanda Baggs’ »In my language««
Daniela Wentz
Leuphana Universität Lüneburg
Der Vortrag nahm sich zwei unterschiedliche Phänomene zum Ausgangspunkt. Zum ersten die von der Tier- und Autismuswissenschaftlerin Temple Grandin zu eigentherapeutischen Zwecken entwickelte »Squeeze Machine«, eine begehbare Vorrichtung, die regulierbaren Druck auf den Körper ausübt. Diese »Zaubermachine« erfüllt mannigfache Bedürfnisse Grandins: etwa Beruhigung, nervliche Entlastung und kontrollierbaren körperlichen Kontakt, den Grandin von anderen Menschen nicht erträgt. Das zweite Phänomen ist das von Autismusaktivistin Amanda Baggs produzierte YouTube-Video »In My Language« (2007). In diesem Video thematisiert Baggs die angenommene Kommunikationsunfähigkeit bei nicht sprechenden Menschen im Autismusspektrum und stellt dieser Annahme ein breiteres, sprachliche Diskursivität weit übersteigendes Verständnis von Kommunikation entgegen: »My language is not about designing words or even visual symbols for people to interpret. It is about being in a constant conversation with every aspect of my environment.« In beiden Fällen, bei Grandin und Baggs, steht die nahsinnliche Erfahrung von Materialität als soziomaterielle Praktik im Zentrum. Materialität ist hier vor allem Bedingung und Medium eines affektiven Erlebens und der Herstellung von nicht-anthropozentrischer Empathie.

»Affektive Assemblagen. Medien und Materialitäten im Kontext von Ausstellungen (in) der zeitgenössischen Kunst«
Svetlana Chernyshova
Heinrich Heine Universität Düsseldorf
Als »Konfigurationen von ästhetischen Erfahrungen« bieten Ausstellungssituationen einen Modus, der eine ganz spezifische Art und Weise der Auseinandersetzung mit Sinnesmodalitäten, aber auch Materialitäten ermöglicht. Der Vortrag präsentierte den Vorschlag, medienökologischen Überlegungen folgend, Ausstellungssituationen als affektive Assemblagen zu diskutieren. Dabei wird die Ausstellung als ein Modus begriffen, der mit bestimmten Affekttechnologien operiert und zugleich von diesen mithervorgebracht wird (im Sinne einer »mutual inclusion« (Brian Massumi)). Wie lassen sich Materialität und schließlich auch »Dinge« und »Objekte« denken und begreifen, wenn diese medienökologisch sowie prozessontologisch verstanden werden? Und inwiefern stellt die Ausstellung dabei eine als besonders zu markierende Situation bzw. Konfiguration dar, die selbst Dynamiken und Intensitäten generiert?

»Das Gestimm – Über die Fruchtbarkeit des Streits um Stimmungssysteme für außermusikalische Affekttheorien«
Bernd Bösel
Universität Potsdam
Lange, bevor das Wort »Stimmung« seine heute vorherrschende Bedeutung als affektive Atmosphäre (engl. mood) angenommen hat, bezeichnete es die Temperierung von Musikinstrumenten, das heißt die materielle Festlegung von Intervallen (engl. tuning). Nach welchen Prinzipien dabei vorgegangen werden sollte, war durch die Neuzeit hindurch Gegenstand hitziger weltanschaulicher Debatten. Physikalische Gegebenheiten treffen hier auf pragmatische Lösungsansätze, die jeweils eigene Möglichkeitsräume eröffnen und über die affektive Valenz bestimmter Intervalle entscheiden. So war etwa die Durchsetzung der gleichtönigen Stimmung im 19. Jahrhundert für die westliche Musik überaus folgenreich – ohne sie hätte es wohl kaum musikalischen Impressionismus oder Zwölftonmusik gegeben. Die affektive Stimmung hängt demnach grundlegend von der Konfiguration des Stimmungssystems ab. Epochenwechsel lassen sich von daher auch als Konfigurationswechsel im Sinne von Umstimmungen verstehen. Der Vortrag wollte dieses Lehrstück aus der Musiktheorie für außermusikalische Verhältnisse fruchtbar machen, insbesondere für die neomaterialistischen Affekttheorien. Diese unterscheiden zwar gerne zwischen Affekt und Emotion, finden aber keinen richtigen Ort für die Stimmung im affektiven Sinn. Umgekehrt stehen die literaturwissenschaftlichen Stimmungstheorien ihrerseits weitgehend isoliert da. Unter dem Ausdruck »Gestimm« soll die Brücke zwischen beiden geschlagen werden.

Die Gesellschaft für Medienwissenschaft https://gfmedienwissenschaft.de/ veranstaltet jährlich eine Tagung zur Diskussion aktueller theoretischer und methodischer Entwicklungen zur Auseinandersetzung über wissenschaftspolitische Fragen sowie zur Präsentation neuer Forschungsergebnisse. 2019 lautete das Thema der Jahrestagung »Medien-Materialitäten«. Sie wurde vom Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln ausgerichtet.

Location:

Philosophikum, Universitätsstraße 41, 50931 Köln, Seminarraum S 58