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Die Maschinisierung des Nichtbewussten: Affekttechnologien, Psychotechnologien und der neue Beeinflussungsapparat

September 27, 2018, 11.00 – 12.30 am

Event — Panel im Rahmen der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft 2018
Der Terminus des Nichtbewussten hat gerade Hochkonjunktur. So rekurriert beispielsweise N. Katherine Hayles in ihrem jüngsten Buch »Unthought« auf nichtbewusste kognitive Prozesse, die das Fundament für jenen kleinen Restposten an Bewusstsein bilden, den die Neurowissenschaft dem Menschen noch zugesteht. Lässt sich ein vergleichbares Verhältnis auch bei affektiven Prozessen erkennen? Welche Rolle spielen unbewusste oder vorbewusste Affekte? Steht dem »unthought« vielleicht ein »unfelt«, ein Ungefühltes zur Seite? Dass dem so ist, behaupten nicht nur manche Stränge der Affect Studies. Es entspräche auch medientechnologischen Entwicklungen, die ein nichtbewusstes Fühlen (oder reaktives Nicht-Fühlen) des Menschen aufzuspüren versuchen, um es zu lenken. Dabei versprechen die Mensch-Maschine-Assemblagen, die für den Menschen fühlen und denken sollen, was er selbst nicht fühlen oder denken kann, eine Ermächtigung. Doch wer oder was wird hierbei eigentlich ermächtigt, was hingegen entmächtigt? Welche Machtverschiebungen lassen sich durch die Emergenz von Affekt- und Psychotechnologien diagnostizieren? Welcher neuartige »Beeinflussungsapparat«, um den suggestiven Ausdruck Viktor Tausks wieder aufzugreifen, ist in den letzten Jahren rund um Big Data, Psychometrik und Micro-Targeting und entstanden? Und in welchem Verhältnis stehen dabei humane und nonhumane Agenz? Welche Begriffe müssen erfunden, umdefiniert, neu diskutiert werden, um diese Verschiebungen im Bereich der Psychomacht überhaupt zu adressieren?

Beiträge des Symposiums
Chair: Jens Eder

»Vom maschinischen Unbewussten zur nichtbewussten Affizierung«
Marie-Luise Angerer
Universität Potsdam
Sigmund Freud hat bekanntlich dem Unbewussten die weitaus größere Kraft zugesprochen als jener Spitze des Eisbergs, als die er das Bewusstsein bezeichnete. Mit der Intervention medientechnischer »Kräfte« in jenes Terrain, das als un- bzw. nichtbewusst bezeichnet wird, hat sich die Freudsche Unterscheidung nicht nur sprachlich verschoben, sondern im Präfix des Nicht positionieren sich neue Agenten, für die es derzeit weder eine adäquate Bezeichnung noch eine genaue Vorstellung gibt, was diese für das Subjekt und seine Innen- und Außen-Umgebung übernehmen. Das von Félix Guattari Ende der 1970er Jahre eingeführte »maschinische Unbewusste« hat sich seitdem materialisiert, d.h. konkrete Maschinen (Sensoren, Algorithmen, Interfaces) haben die abstrakte Produktionsmaschine von Guattari in ein sensitives Mediengeflecht übersetzt, das die Dimension des Nicht zunehmend aktiv werden lässt. In »Vom Begehren nach dem Affekt« (2007) habe ich über die Frage spekuliert, was es bedeuten könnte, den psychoanalytischen Schwellenbegriff des Triebs mit dem des Affekts zu ersetzen. Welche Konsequenzen wären damit verbunden? Heute lassen sich diese bereits deutlicher benennen. Denn die affektive Funktion besteht in der Tat in der Markierung und Aktivierung eines Weder-Noch oder Sowohl-als-Auch, eines Verbinden und/oder Trennens. Es ist aber auch zugleich jene Dimension, in die sich medientechnische Interventionen einschreiben, die die Bewegungen des Affektiven aufgreifen, implementieren und disseminieren. Auf diese Weise »verkuppeln« sich das materielle Eigenleben der Körper mit der Maschine auf »reale« Weise, wie Lacan das Reale bestimmt hat: als jenen nicht einnehmbaren Ort, dessen Zeichen auf ein Mehr des Subjekts in seinen Verbindungen mit seinen Um-Welten hinweisen.

»Psychotechnologie, Psychometrik, Psychopolitik: Grundbegriffe der Psychomacht«
Bernd Bösel
Universität Potsdam
Die Psychotechnologien bilden das Kernstück des industriellen Systems der Gegenwart, so schrieb Bernard Stiegler vor zehn Jahren in »Logik der Sorge«. Gemeint war damit, dass das industrielle System, angewiesen auf die Schaffung immer neuer Bedürfnisse, auf massenmediales Marketing setzen muss, um Aufmerksamkeit, Affekte und Begehren ihres Publikums zu wecken. Inzwischen erscheint die Adressierung von Massen allerdings als ein krudes Verfahren, das von der Methode des Micro-Targeting zunehmend in den Schatten gestellt wird. Damit erhält auch der von Stiegler eingeführte Begriff der Psychotechnologie eine neue Dimension.
Die Psychometrik ist dank digitaler Technologien zu einer weltpolitisch einflussreichen Disziplin aufgestiegen, wie der Skandal um die Wählerbeeinflussung durch Cambridge Analytica und Facebook gezeigt hat. Psychotechnologien lassen sich nun tentativ als Medientechnologien definieren, die zur Generierung exakter Profile ihrer User geeignet sind, und die umgekehrt auch die passgenaue Beeinflussung dieser User ermöglichen. Im Raum steht dabei eine Machtverschiebung hin zu jenen Akteuren, die in der Lage sind, Daten einzukaufen und diese für ihre Zwecke zu nutzen, auf Kosten jener, die diese Daten generieren. Ein Raum steht demnach ein auf Dauer gestelltes Machtgefälle: ein psychopolitisches Herrschaftsverhältnis. Es braucht dringend die Arbeit an Begriffen, die zur Benennung dieses Kampfes um die Psychomacht geeignet sind. Der Vortrag will dafür Hinweise und Vorschläge zusammentragen.

»Industrialisierung der Gefühle – Was versprechen Affekttechnologien?«
Serjoscha Wiemer
Universität Paderborn
Affekttechnologien wird in jüngster Zeit ein zuvor nicht gekanntes Interesse entgegengebracht. Zu den weit ausgreifenden angestrebten Anwendungsfeldern gehören neben Robotik, Sicherheitsforschung und Psychotherapie etwa auch Spiel- und Gesundheitsanwendungen. Wenn Mensch-Maschine-Systeme auf Affektdetektion und -produktion hin optimiert werden, stellt sich die Frage, welche Erwartungen mit der Einführung von digitalen Affekttechnologien verbunden werden. Welche Effektivitätssteigerungen und mögliche Rationalisierungsgewinne treiben die Entwicklung an? Welche »Wunschkonstellationen« (Winkler) charakterisieren gegenwärtige Affekttechnologien? Welche Probleme sollen damit gelöst werden? Welche vermeintlichen Lücken oder Fehler bisheriger Systeme sollen durch »affective technologies« behoben werden? Welche Versprechen und Phantasien bilden den Horizont der aktuellen Anstrengungen zur »Industrialisierung der Gefühle«?

Daran anschließend findet eine Veranstaltung der AG Affective Media Studies statt. AG-Mitglieder sowie alle Interessierte sind herzlich dazu eingeladen: 14.00–15.30 Uhr, Raum US-D 109.

Die Gesellschaft für Medienwissenschaft veranstaltet jährlich eine Tagung zur Diskussion aktueller theoreti­scher und methodischer Entwicklungen, zur Auseinandersetzung über wissenschaftspolitische Fragen sowie zur Präsentation neuer Forschungsergebnisse. 2018 wird »Industrie« Thema der GfM-Jahrestagung sein. Sie wird ausgerichtet vom Medienwissenschaftlichen Seminar der Universität Siegen in Kooperation mit dem Sonderforschungsbereich »Medien der Kooperation« und dem DFG-Graduiertenkolleg »Locating Media«.

Weitere Informationen finden Sie hier.

Location:

Universität Siegen, Kohlbettstraße 15, 57072 Siegen, Raum US-F 304